Zum ersten Mal erfahren habe ich von der Rohkost kurz nachdem ich mich für eine vegane Lebensweise entschieden hatte, im Sommer letzten Jahres. Ich hatte dadurch begonnen, darüber nachzudenken, was ich esse, woher es kommt und was es bewirkt. Ich recherchierte im Internet und stieß schnell auf die Rohkost. Ich wusste davor nicht, dass es Menschen gibt, die sich roh ernährten. Ich hatte darüber auch überhaupt nicht nachgedacht. Es schien immer normal zu sein, sich von hauptsächlich gekochter Nahrung zu ernähren.
Aber die Rohkost hatte sofort eine starke Anziehungskraft auf mich. Sie erschien mir auf Anhieb plausibel und logisch.
Also bemühte ich mich darum, mehr Rohkost in meinen Alltag einzubauen. Zum Beispiel zum Frühstück und als Zwischenmahlzeit nur Rohes zu essen oder die Beilagen roh zu lassen, viel Salat zu essen und so weiter. Nach einem Monat versuchte ich es dann mit drei 100% rohen Tagen (wobei ich erst danach erfuhr, dass selbst Bio-Nüsse nicht pauschal roh waren..). Diese Tage fühlten sich zwar sehr gut an, waren aber doch sehr anstrengend. Ich bekam allmählich ein Gefühl dafür, was für eine starke Suchtwirkung Kochkost hat. Und das stärkte den Wunsch in mir, roh leben zu wollen. Ich wollte nicht abhängig sein. Ich wollte nicht mehr Dinge in meinen Körper stecken, die ihm überhaupt nicht bekamen – nur weil ich „nicht anders konnte“. Ich wollte nicht „nicht können“.
Ich war schon überrascht über die positiven Veränderungen, die der Veganismus mit sich brachte. Ich hatte mehr Energie, schnelleren Muskelaufbau, ich war weniger anfällig, meine Verdauung und meine Haut verbesserten sich. Vorher hatte ich auch seit Jahren viele Probleme mit meiner Lunge und meinen Atemwegen. Ich war ständig krank, bekam schnell Halsschmerzen und schon nach kurzer Betätigung an der frischen Luft hatte ich einen schleimigen Husten. Mit der Ernährungsumstellung hin zum Veganismus wurde das alles sehr viel besser. Ich konnte endlich draußen Fahrrad fahren ohne Angst zu haben, danach krank zu sein. Ich vermute, dass ich eine leichtere Laktose-Intoleranz habe wie so viele (ich würde sogar sagen mindestens 95% der Bevölkerung – ohne dass sie es wissen) und dadurch meine Immunkräfte ständig geschwächt waren.
Der Veganismus war so eine Erleichterung. Ich stellte auch fest, wie sehr Krankheit und Unwohlsein ein Teil meiner Realität und des Alltags waren, einfach dazu gehörten, ohne dass ich viel hinterfragte. Erst als sie weg waren, merkte ich, dass sie ständig da gewesen waren und wie sehr sie mich beeinflusst hatten. Und ich fragte mich, was die Rohkost wohl alles verändern würde. Was noch Normalität für mich zu sein schien, obwohl es eben nicht „normal“ war.
Ich wollte wissen, was wahre Gesundheit bedeutete.
Mit der Zeit aß ich zwei/drei Tage am Stück roh und dann wieder etwas Unrohes. Ich spürte immer deutlicher, dass die rohen Tage sich so viel besser anfühlten als die unrohen. Ich wurde die Kochkost satt. Im Herbst entschied ich mich dann, es zu probieren mich bis auf Weiteres roh zu ernähren. Die ersten zwei Wochen waren toll. Auch danach war es immer noch gut, aber mich suchte allmählich die Sucht nach Kochkost heim. Ich hatte sie immer noch unterschätzt. Zudem machte ich mir den Umstieg nicht gerade leicht. Ich verlangte alles auf einmal von mir: Fast keine Nüsse zu essen, nichts zuzubereiten, allgemein wenig zu essen, zu studieren, mich tierrechtlerisch und gesellschaftlich zu engagieren, das Stadtleben in Berlin auf zu saugen.. So viel Neues, so viele Eindrücke, so viel Umstellung. Es war zu viel. Ich schaffte damals nur einen Monat. Leider stürzte ich direkt in eine Junkfood-Phase. Der Verzicht – was es damals tatsächlich war – bewirkte, dass ich mich danach nur noch vollstopfen wollte.
Ein wichtiger Punkt war auch, dass rohe Nahrung einen sensibler macht insofern, als dass es nicht den dämpfenden Effekt von Kochkost hat. Der Entzug der Gefühlsdämpfer war hart. Ich fühlte plötzlich so viel und wusste nicht, woher es kam. Ich war nicht darauf vorbereitet, wusste nicht, dass Kochkost diesen Effekt hatte und er nun „fehlte“.
Ich nahm stark zu, aß viel und viel Schlechtes. Vor allem viel, viel Emotionsnahrung, die die aufgekeimten Gefühle unterdrücken sollte. Durch Kochkost verschwinden die negativen Gefühle jedoch nicht. Sie sind immer da, nur sehr tief verborgen und sie kommen unkontrolliert und explosionsartig raus, ohne dass ich sehen konnte, woher sie kamen. Mit Rohkost musste ich lernen, mich direkt mit den Gefühlen auseinander zu setzen.
Es war damals eine sehr schlechte Phase. Mein Körper rebellierte gegen die Kochkost, aber mein Geist war zu schwach, die Rohkost zu leben, wenn er es auch genauso wollte.
Nach einigen Monaten, am Ende des Winters, fühlte ich mich mental wieder etwas gestärkt. Und ich wollte es diesmal anders versuchen – entspannt, ohne mir etwas auf zu zwingen, sondern es sich entwickeln lassen. Ich besuchte einen Workshop für rohe Essenszubereitung. Wir machten dort Suppe, Pudding und einen Kuchen – alles roh. Ich spürte sofort, dass es mir helfen konnte beim neuen Versuch. Auch der dortige Austausch mir Gleichgesinnten war wunderbar. Ich las von Victoria Boutenko das Buch „12 Steps to Raw Food“ und begann, mir rohe Köstlichkeiten zubereiten zu lernen. Ich nahm mir vor, es wieder mit Rohkost zu versuchen. Nicht dogmatisch, sondern einfach zu versuchen, roh zu essen, und wenn die Lust auf Kochkost stark wurde, mich dahingehend auch mal gehen zu lassen um danach wieder zur Rohkost zurückzukehren. Letztlich stellte sich aber raus, dass die Lust auf Kochkost nicht mehr aufkam, dass ich entspannt roh blieb. Ich war auf alles vorbereitet. Lust auf Süßes und Fettes konnte ich mit rohen Gerichten stillen, ich war emotional und psychisch gestärkt, hatte viele Tricks und Tipps selbst herausgearbeitet und von anderen bekommen, hatte Gleichgesinnte um mich herum, konnte andere zur Rohkost inspirieren – und hatte die Kochkost absolut satt.
Ich ließ mich auch innerhalb der Rohkost erstmal gehen. Es war mir in erster Linie wichtig, dass alles roh war – ob sehr süß oder fett oder viel war egal.
So ernähre ich mich nun seit drei Monaten roh, und es ist für mich mittlerweile Normalität.
Jetzt bin ich gefestigt in der Rohkost – und ich denke, gefestigt genug um allmählich meine Essgewohnheiten weiterhin zu verbessern. Denn „hauptsache roh“ halte ich für einen guten Anfang, aber keine dauerhafte Lösung. Ich esse recht viele Nüsse, Trockenfrüchte und Zubereitetes und merke das allmählich auch wieder an meinem Gewicht, meiner Energie und Stimmung. Es ist noch nicht das Optimum. Ich möchte mich so gut fühlen wie möglich. Und dazu gehören wie ich denke viele Früchte, viel Grünes und nur wenig bis nichts Fettes oder Verarbeitetes
Bis ich das Optimum erreicht habe, wird es sicherlich noch dauern. Ich möchte es auch hier so handhaben, dass ich nichts erzwinge – ein bisschen anstupsen, ja, aber es soll sich allmählich und in seiner Zeit entwickeln. Wir leben viel zu schnell und erwarten unheimlich schnell Ergebnisse – ich habe noch viele, viele Jahrzehnte vor mir und nehme mir die Zeit, die ich brauche :)
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