Thursday, May 6, 2010

Warum ich gehe

Wie kam ich an den Punkt, auszusteigen, eine Alternative zu dem mir bekannten Leben zu suchen?

Ich habe nach dem Abitur ein freiwilliges soziales Jahr in Karlsruhe gemacht, in dem ich mich um einen damals sechsjährigen Autisten gekümmert habe. Durch die Begegnung mit diesem Jungen hat ein wichtiger Veränderungsprozess in mir eingesetzt. Dank weiterer Begegnungen seit dem und der Weiten und Möglichkeiten des Internets, die ich auch erst in diesem Jahr zu erkunden begonnen hatte, bin ich jetzt an einem Punkt, den ich mir direkt nach dem Abitur nicht vorgestellt hatte. Damals dachte ich, ich würde etwas in Richtung Psychologie, Erziehungswissenschaften oder etwas in eine künstlerische Richtung Gehendes studieren und danach Entsprechendes im Beruf ausüben. Ich hatte mir natürlich auch gewünscht, darin erfolgreich zu sein.
Als es mit der Bewerbung für ein Psychologie-Studium nicht klappte, habe ich mich für das FSJ entschieden.
Schon nach kurzer Zeit wurde mir bewusst, dass es genau die richtige Entscheidung war und ich genau auf dem Weg war, auf dem ich sein sollte.
Im Lauf des Jahres lernte ich durch die Arbeit mit dem Jungen und anderen Kindern mit körperlichen und geistigen Behinderungen unglaublich viel über mich selbst und meine Fähigkeiten, ich entschied mich nach vier Jahren Vegetarier-Dasein dazu, vegan zu leben, erfuhr von Rohkost und informierte mich dahingehend, und begann auch Gesellschaft, Politik und Sämtliches zu hinterfragen, was vorher „nunmal einfach so war“.
Ich wollte damals schon seit Jahren nach Berlin ziehen um die Möglichkeiten einer Metropole nutzen zu können, und bewarb ich mich für Erziehungswissenschaft an zwei Universitäten dort. Ein Platz in einer WG in Berlin schien ebenfalls in Aussicht bzw. es gab notfalls die Möglichkeit in einer anderen WG erst einmal unter zu kommen.
Als ich dabei war, alles zusammen zu packen und es nur noch zwei Wochen bis zum Umzug waren, bekam ich Absagen sowohl von den Unis als auch von den WGs. Ich hing damals sehr in der Luft, musste aus dem Zimmer ausziehen, in dem ich wohnte, wusste aber weder wohin, noch was ich dort täte. Ich bin heute unheimlich erstaunt darüber, wie ich damals so ruhig bleiben konnte und woher ich die Zuversicht hatte, dass alles gut ausgehen würde. Eine Woche bevor ich ausziehen musste, wurde ein WG-Gesuch von mir positiv beantwortet. Es ging danach alles sehr schnell, ich hatte eine vorübergehende Unterkunft gefunden, verabschiedete mich von Karlsruhe und zog um.
In Berlin wusste ich zwar nicht recht, was ich tun sollte, blieb aber durch die Ersparnisse, die ich hatte, weiterhin sehr ruhig und genoss es erstmal dort zu sein. Nach zwei Wochen rief mich meine Mutter an und sagte mir, dass ein Brief von einer Uni für mich bei ihr angekommen sei. Sie war aufgeregt, weil sie damit rechnete es sei eine Zusage. Ich war mir jedoch sicher, dass es lediglich der Bescheid war, dass ich auch im Nachrückverfahren nicht durchgekommen war.
Sie öffnete ihn und lass vor, dass sie mir gratulierten, da ich doch nachrücken konnte und angenommen war. Ich musste in dem Moment weinen, da ich glücklich darüber war, „gut genug“ zu sein. Ich war mir jedoch nicht sicher, ob ich tatsächlich immer noch studieren wollte. Ich hatte mir vorher überlegt, zu jobben und es nebenbei mit etwas Kreativem zu probieren, T-Shirt-Design oder Ähnliches.
Nach kurzem Hin- und Herschwanken hatte ich mich doch für das Studium entschieden, weil ich mir dachte, dass ich es immer noch abbrechen konnte, wenn es mir nicht gefiele.
In den ersten Wochen war ich begeistert. Aber es kam dann doch sehr schnell die Ernüchterung. Es wurde mir schnell zu viel, ich kam nicht mehr zu anderen Dingen, die mir wichtig waren und hatte das Gefühl lediglich beschäftigt, abgelenkt zu werden von dem, worauf es mir ankam.
Ich fand die Inhalte interessant, aber kam mir ständig ausgebremst vor. Lieber wollte ich mich selbstständig mit den Themen beschäftigen. Doch das schien durch Regelungen wie Anwesenheitspflicht und durch Wissen zurückhaltendes Lehren unterbunden werden zu sollen. Mir kam es nicht so vor, als ob es tatsächlich um Bildung ginge.
Der Bildungsstreik kam da genau zur richtigen Zeit. Mir wurde dadurch bewusst, dass es so bleiben würde, dass es mit den Semestern nicht besser werden würde, eher schlechter, dass es auch Anderen ähnlich ging. Auch wurde mir bewusst, dass es zum Einen wohl kaum zu tief greifenden Reformen käme, zum Anderen würden selbst die tief greifendsten Reformen nichts bringen, da das gesamte System korrupt ist.
Ich hatte mich zu der Zeit viel mit Verschwörungstheorien beschäftigt. Sicherlich waren da einige an den Haaren Herbeigezogene dabei, aber bei vielem musste ich feststellen, dass es einfach keine „Theorie“ war, sondern Realität. In den meisten Bereichen scheint das Geld, die Wirtschaft mehr Wert zu sein als Menschen, Glück, unsere Mitwelt, wahres Wissen und wahrer Fortschritt.
Ich entschied mich schnell, das Studium abzubrechen. War aber wieder an dem Punkt, an dem ich nicht wusste, wie es weiter gehen sollte. Und wieder überlegte ich mir, etwas Kreatives zu tun. Andererseits entstand da aber auch der Wunsch, reisen zu gehen. Ich wollte Abstand vom Alltag gewinnen, mir inspirierende Orte anschauen, Kommunen besuchen und versuchen eine Idee davon zu bekommen, wie ich mir eine ideale Gemeinschaft vorstellte. Ich hatte jedoch große Unsicherheiten und Ängste davor, die „sichere“ Umgebung aufzugeben und mich in eine ständige Ungewissheit zu begeben. Ich schwankte hin und her, war auch sehr angezogen davon, meine eigene Wohnung zu haben und mich selbstständig zu machen. Hatte mich letztlich auch dazu entschlossen, wenn auch nicht ohne Zweifel. Ich war dabei, mir eine Wohnung zu suchen, mich mit der Bürokratie zu beschäftigen und meine Selbstständigkeit vorzubereiten – bis ich den Film „Into the Wild“ anschaute. In dem Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Genau das wollte ich. Der Entschluss war gefallen, ich sagte zwei Wohnungs-Besichtigungstermine ab, plante meinen
Auszug und überlegte, was ich erleben und sehen wollte. Spontan sagte ich auch zu, mit Freunden in den Urlaub zu gehen um dies den Anfang meiner Reisen werden zu lassen. Ich sortierte meine Sachen aus, schmiss viel weg, organisierte einen Zimmerflohmarkt auf Spendenbasis und verschenkte alles Übrige. Einige wenige meiner Sachen, die ich noch nicht bereit war weg zu geben, konnte ich erst einmal bei einer befreundeten WG unterstellen.
Der letzte Tag vor der Abreise in den Urlaub war auch gleichzeitig der vorerst letzte Tag „zu Hause“. Wenn ich wieder am Flughafen von Berlin ankommen würde, wäre ich obdachlos.
Der Urlaub ging über London, wo wir drei Tage blieben, nach La Gomera, einer kanarischen Insel.
Es war eine wunderbare Erfahrung und genau der richtige Start für meine Reise.
Auf La Gomera erfuhr ich dann von Beneficio, einer Art Kommune in der Nähe von Granada, in Spanien. In Berlin wieder angekommen, hörte ich in der WG, in der ich ein paar Tage bleiben konnte, erneut von Beneficio. Eine der WG-Bewohnerinnen war bereits dort gewesen und erzählte sehr positiv davon. Ich fand im Internet ein Video mit Bildern von Beneficio und hatte damit meinen Entschluss gefasst, dahin als Nächstes zu Reisen.

Zu dem Zeitpunkt, in dem ich das schreibe, bin ich in Karlsruhe. In wenigen Stunden geht es nach Paris und von dort aus trampe ich dann runter nach Spanien. Ich bin gespannt auf das, was ich erleben werde und möchte meine Erfahrungen gerne teilen, weswegen ich diesen Blog eingerichtet habe.

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