Monday, February 27, 2012

Kurzgeschichte: Es gibt einen Grund dafür, dass wir nichts haben

„Es gibt einen Grund dafür, dass wir nichts haben!“
Er schaute sich im Wohnzimmer um und sah eine Sofagarnitur, einen Couchtisch, einen 32 Zoll Fernseher und eine Musikanlage. Er fragte sich, was sie wohl meinte. Sie sah seine Frage und machte mit ihrem Arm eine schweifende Bewegung über den Raum: „Das alles ist nichts. Nur Konsumgüter. Nichts dahinter. Wir sind arm. Wir haben nichts.“
„Was fehlt uns?“
„Alles!“
Er seufzte und nahm die Fernbedienung in die Hand. Sein Finger war bereits auf dem roten Anschalteknopf.
„Nein, warte! Ich erklär's dir!“
Er schaltete den Fernseher noch nicht ein, behielt die Bedienung aber in der Hand. Er blickte sie wartend an.
„Genau in diesem Moment sehen wir, wie arm wir sind!“ Sie zeigte auf die Fernbedienung.
„Weil wir uns leisten können einen Fernseher zu haben?“
„Nein! Andersrum!“
Er runzelte die Stirn und fragte sich, ob sie vielleicht nicht gut geschlafen hatte. Sie schien wieder seine Gedanken lesen zu können und wurde wütend.
Ihr Stimme wurde lauter, überdreht. „Weil wir es uns nicht leisten können, keinen Fernseher zu haben!“
Er schaute auf den Fernseher und fragte sich, ob sie das Gespräch irgendwie dahin lenken wollte, dass sie sich einen neueren, größeren Fernseher kaufen sollten.
„Idiot!“ Sie stand auf und verließ das Zimmer. Aber nur um wenig später wieder zurück zu stampfen. Er hatte den Fernseher in der Zwischenzeit eingeschaltet. Sie stellte sich zwischen ihn und dem Programm und hob ihre Stimme um die der Talkshow-Masterin zu übertönen: „Wir können uns nicht unterhalten! Wir können keinen Tag miteinander verbringen, ohne die blöde Kiste anzuschalten! Wenn wir ein paar Worte miteinander wechseln, dann nur um uns entweder auf den Sender zu einigen oder um über das zu reden, was wir im Fernseher gesehen haben!“
Sie wartete auf eine Antwort. Im Hintergrund versuchte die Talkshow-Masterin ein sich streitendes Paar zu beruhigen. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Außer: „Schrei nicht so, die Nachbarn werden uns noch hören.“
Sie wurde zornig. „Die Nachbarn? Die Nachbarn sind damit beschäftigt eine Telenovela anzuschauen. Und wenn sie die Schauspieler wegen mir nicht gut hören können sollten, sollen sie den Ton doch einfach lauter drehen. Das ist doch so praktisch am Fernseher! Alles können wir tun, und dabei müssen wir nur unsere Finger ein wenig bewegen!“ Sie rannte wieder aus dem Zimmer.
Die Werbung lief, er schaltete um. Als er sich gerade entspannte und über einen Witz auflachte, den der Gameshow-Moderator gemacht hatte, polterte sie wieder ins Zimmer.
„Ist unser Leben ohne Fernseher so langweilig? Bin ich dir zu langweilig?“
Er schaute sie an und wunderte sich, warum sie sich so aufregte. In letzter Zeit tat sie das öfters. Seit dem sie sich mit dieser Öko-Hippie-Tante aus dem ersten Stock angefreundet hatte. Die redete ihr wohl diese Verrücktheiten ein.
Sie wartete keine Antwort ab: „Wir haben so viel Kram! Und warum? Wozu haben wir das alles?“
Im Hintergrund fing die Werbung wieder an. Er wollte umschalten, entschied sich dann aber doch dagegen um sie nicht wütender zu machen. Die Nachbarn drehten den Ton ihrer Telenovela auf. Auch sie drehte ihren Ton auf. „Wir haben das alles, weil wir innerlich leer sind! Wir brauchen so viel Kram, Kram, Kram! Weil in uns nichts ist! Absolut nichts! Wüste!“
Er schaute auf die Uhr. Gleich fing seine Lieblingsserie an. Sie öffnete den Mund um wieder etwas zu sagen. Er richtete die Fernbedienung auf sie und drückte den Aus-Knopf. Sie verschwand. Er richtete die Fernbedienung wieder auf den Fernseher und wechselte den Sender. Die Anfangsmelodie der Serie ertönte. Er war erleichtert und lächelte, er hatte nichts verpasst.

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